Ist Angst das Gefühl unserer Zeit? – Interview mit Prof. Ute Frevert, Präsidentin der Max-Weber-Stiftung
Ist Angst das Gefühl unserer Zeit?
26.03.2024Die Stimmung in unserem Land ist aufgewühlt, die Menschen machen sich so viele Sorgen wie lange nicht. Unser Interviewgast Prof. Dr. Ute Frevert, Präsidentin der Max-Weber-Stiftung, ist Historikerin und forscht seit vielen Jahren zur Geschichte ebendieser Gefühle. Wir haben ihr für unsere aktuelle Newsletter-Ausgabe drei Fragen rund um das Thema Angst als das beherrschende Gefühl unserer Zeit und die Macht positiver Narrative gestellt.
- Ist Angst das Gefühl unserer Zeit?
Ja, das sehe ich so. Es lässt sich zwar schwer messen, trotz Angstindex und einschlägigen Umfragen. Angst ist auch sicher nicht das einzige Gefühl, das Menschen derzeit umtreibt. Aber es ist eins, das regelmäßig Thema ist, im öffentlichen Leben ebenso wie in privaten Gesprächen. Eine Versicherung fragt seit 1992 jährlich die größten Ängste der Deutschen ab; je nach Tages- und Weltlage sind es steigende Lebenshaltungskosten (wie 2023) oder Donald Trump (2018). In Umfragen der Münchener Sicherheitskonferenz bekundeten Deutsche 2023 vor allem ihre Angst vor Masseneinwanderung und islamistischem Terror. Im Vergleich zu anderen wohlhabenden Ländern scheinen sie besonders angstanfällig; Briten und Amerikaner äußern sich gelassener. Dass gerade Abstiegsängste hierzulande weit verbreitet sind, hat damit zu tun, dass die Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren einen beispiellosen und stetigen Zuwachs an Wohlstand und Planungssicherheit erlebten; von diesem auch im internationalen Vergleich sehr hohen Sockel möchte niemand mehr herunter, und bereits kleinere Einbrüche werden als Katastrophe wahrgenommen. In Ostdeutschland ist diese Wahrnehmung noch stärker ausgeprägt; hier wirken die dramatischen Einbrüche und Verlusterfahrungen der 1990er Jahre nach. Für politische Angstunternehmer wie die AfD bietet das eine perfekte Grundlage, um Ängste und Ressentiments gezielt zu steuern und auf bestimmte Adressaten – „die Grünen“, „die Migranten“, „die Flüchtlinge“ – auszurichten.
- Wie gefährlich ist Angst für die anstehende Transformation unserer Welt?
Angst ist ein asthenisches, ein beengendes Gefühl – wer Angst hat oder in Panik gerät, dem oder der bleibt die Luft weg, die Brust zieht sich zusammen, man fühlt sich wie gelähmt. Wie gebannt fokussiert man sich auf den Verursacher der Angst, er überragt alles andere und stellt es in seinen Schatten. D.h. Angst dezimiert die Wahrnehmungsfähigkeit und schränkt den Horizont ein, vor dem sich Probleme sinnvoll bearbeiten lassen. Damit ist sie nicht unbedingt das Gefühl, das Menschen auf notwendige oder unaufhaltsame Veränderungen ihrer Lebenswelt positiv und konstruktiv einstimmt. Und oft ist es wie bei Michael Endes Scheinriesen Tur Tur: je weiter weg er ist, desto riesiger und bedrohlicher scheint er zu sein. Zugleich haben Menschen verschiedene Optionen, mit ihren Ängsten umzugehen. Sie können sie offensiv benennen; das hat man seit den 1980er Jahren gelernt, in den Frauen-, Umwelt-, Friedens- und Antiatomkraftbewegungen. Sie können Ängste kritisch reflektieren und einordnen, ohne sich vollends von ihnen bestimmen zu lassen. Wir sind nicht mehr, wie uns Evolutionsbiologen manchmal weis machen wollen, im Zustand unserer Ur-Ur-Urahnen, denen beim Anblick wilder Tiere nichts anderes übrigblieb, als Reißaus zu nehmen oder den Kopf in den Sand zu stecken.
- Können positive Narrative Menschen helfen, positiver zu denken, oder ist das eine Illusion?
Alle Menschen leben von und in Geschichten. Manche haben sie selber erdacht und konstruiert, andere haben sie übernommen und tragen sie weiter. Zuweilen geschieht das sogar unbewusst, wie wir aus der epigenetischen Forschung wissen. Für all diese Geschichten, ob erfahrungsbasiert oder nicht, gilt, dass sie keineswegs in Stein gemeißelt sind. Vielmehr verändern sie sich laufend – durch den Einfluss neuer Erlebnisse, neuen Wissens, neuer Interpretationen. Hier kommen die Geschichtenerzähler ins Bild, also diejenigen, die individuelle Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang stellen und uns diesen Zusammenhang als logisch, konsistent, emotional anrührend usw. vermitteln. Das können Eltern sein oder Lehrer und Lehrerinnen, aber auch Medien oder politische Akteure wie die erwähnten Angstunternehmer. Das Problem mit „positiven Narrativen“ ist folgendes: wir brauchen sie, um unser Leben zukunftsoffen zu leben, aber wir misstrauen ihnen, sobald sie allzu künstlich und absichtsvoll daherkommen. Wer hat denn in der DDR der 1970er und 1980er Jahre noch an die offizielle Erzählung vom unaufhaltsamen Fortschritt im Sozialismus geglaubt? Das gilt im Übrigen auch für aktuelle Versuche interessierter Kreise, Krisen damit kleinzureden, dass Menschen bislang noch immer Lösungen für die von ihnen verursachten Probleme gefunden haben.